Bettina Heinen-Ayech kam am 3. September 1937 in Solingen als viertes Kind des Journalisten und Lyrikers Hanns Heinen zur Welt und wuchs in einem alten, verschieferten Fachwerkhaus am Rande der Großstadt, im Stadtteil Höscheid, auf. Ein Freund der Familie, der Kunstmaler Erwin Johannes Bowien (1899-1972), erkannte früh die Begabung des Kindes und beschloss dieses Talent nach Kräften zu fördern.
Die kleine Bettina schüttelte damals oft ihre rote Mähne gegen den Lehrer, stampfte zornig auf, und das würdige, alte Elternhaus mit dem schimmernden Perserteppich, den Mahagoni-Möbeln und der von Eichenbalken getragenen, leicht schiefen Decke hallte von ihrem Trotz. Nun war Bowien aber ein verschmitzt wissender Lehrer, der das Temperament seiner Schülerin an langen Leinen zappeln ließ und trotz seines eigenen Maßes das Feuer der jungen Begabung eher zu schüren, denn zu zügeln schien. Vor allem ermutigte der Lehrer das junge Mädchen zum großen Format und zur Erfassung starker Farbe in ihrer zum Sinnbildhaften führenden Möglichkeit. Er hatte wohl als erster die zur Unbedingtheit zwingende Begabung Bettinas erkannt.
Unbedingtheit! Das Stichwort, das ist der Schlüssel zu Bettinas Bilderwelt bis zum heutigen Tag. Bei ihr gibt es keine klügelnde Herabminderung auf das bürgerliche Normale oder gar Wohnzimmerwände hin. Es macht ihr nichts aus, wenn sich oft genug ihre eigenen Bilder nicht miteinander vertragen. Sie greift mit Leidenschaft spontan zu, malt mitunter auch mit, was sie eigentlich besser weglassen sollte; denn sie „kneift“ nie vor der Herausforderung dessen, was sie sieht, und ist von einer nur selten zu erlebenden Ehrlichkeit gegenüber dem Darzustellenden. Das erklärt letztendlich die Kühnheit, mit der sie in Algerien Himmel, Land und Menschen angeht, auch wenn sie längst das als Schülerin so oft bekämpfte malerische Bewusstsein ihres Lehrers entwickelt hat und sie manches Motiv, das früher wie im Rausche hingeschleudert schien, nun für Tage, Wochen und Monate fesselt, oft genug auch quält. Doch hiermit sind wir bei dem Grund, der das immer so Authentische an Bettinas Kunst erklärt, hin bis zu einer scheinbar algerischen Nationalmalerei!
Doch kommen wir zurück zu Lehrer und Schülerin. Erwin Bowien widersprach nicht, als das Mädchen so malte, als gelte es, den biblischen Schöpfungsbericht nachzuvollziehen. Die 17 Jahre alte ließ Berge wie Lappen wehen. Mit gelben Krallen griffen Strahlensonnen in orkanhafte Himmel und traumatische Täler. Das alles wurde, mitunter zwei Quadratmeter füllend, in Wasserfarbe hingeschmettert. Bei Kollektivausstellungen springt einem jäh das an, was Bettina darstellt. Man muss stehen bleiben, kann nicht ausweichen und spürt an der Ungeheuerlichkeit des Zugriffs, wie überzeitlich doch Kultur und Menschentum durch das 20 Jahre lange Wirken in Algerien dieser Kunst eingeprägt sind: Sieghafte Frucht der Abgeschiedenheit! Ihre Bilder sind auch eine Reise nach Algerien zu Bettinas Familie, zu den Menschen dieses nordafrikanischen Landes. Eine Expedition mit ihrem kleinen, geplagten Renault durch tausend Kilometer Wüste, zu den Ruinen römischer Städte, in die Oasen mit ihren lehmgebauten Ansiedlungen.
Kommen wir noch einmal zurück auf das junge Mädchen, das damit Sonnen Aquarellschlachten austrug und das von keinem geringeren als Karl Schmidt-Rottluff die Ermutigung erfuhr: „Bettina, bleib Dir treu!“. Zu jener Zeit war die Frankfurter Galeristin Hanna Becker vom Rath auf das stürmische Talent aufmerksam geworden und hatte trotz der Jugend der erst 18 Jahre alten Malerin ihre Bilder mit in eine in alle Welt geschickte Repräsentationsausstellung moderner deutscher Kunst aufgenommen. So stand Bettina Heinen aus Solingen zugleich mit Paul Klee, Max Beckmann, Max Ernst, Ernst Ludwig Kirchner oder Käthe Kollwitz zu Katalog; und kein Kritiker, der Anstoß daran genommen hätte, im Gegenteil: "… man hätte von ihr gerne mehr gesehen“, hieß es in einer brasilianischen Zeitung.
Indes wurde Bettinas Feuereifer zu jener Zeit in Zucht genommen. Sie war Studentin der Kölner Werkkunstschule und plagte sich in der Klasse von Professor Otto Gerster mit anatomischem Zeichnen und monumentaler Wandmalerei, nachdem ihr Erwin Bowien das große Format nahegelegt und ihr besonderes Talent, dies zu bewältigen, erkannt hatte. Zuvor besuchte die Schülerin das August-Dicke-Mädchengymnasium ihrer Heimatstadt Solingen und erinnert sich dankbar an ihre Kunstlehrerin Johanna Büßer. In der Kölner Kunstschule war es für Bettina nicht leicht, Anerkennung für Emotionalität ihrer Kunst zu erlangen, dennoch trugen ihr die Zeugnisse zwei nordrhein-westfälische Staatsstipendien (1959 und 1962) ein. Nächste Ausbildungsstationen: die Kunstakademie München, Professor Hermann Kaspar, monumentale Wandmalerei und Portrait, und die königliche Kunstakademie Kopenhagen, Professor Paul Sörensen, freie Malerei und Figurenzeichnen. Natürlich war Bettina im akademischen Betrieb mit ihren Anschauungen und ihrer unorthodoxen Handhabung des Aquarells das, was man eine schwierige Schülerin nennt; und manches von dem, was die Akademie bei ihr bewirkte, dürfte sich eher aus dem Widerspruch gegenüber strenger Regelhaftigkeit denn aus der Annahme der Lehre erklären. Trotzdem denkt Bettina gerne an ihre Studienjahre zurück, besonders an die Zeit in Kopenhagen. Nie wird sie die aus Regen- und Schneestimmung entstandenen eigenen Dunkelheiten und Lichter vergessen; unvergesslich auch das Erlebnis von Freiheit. Bis Mitternacht standen ihr, der ersten deutschen Studentin dieser Schule nach dem Krieg, die Akademiesäle offen. Obschon sie die damals entstandenen Ölbilder heute kaum noch als ihre eigenen wiedererkennt, war für sie die Herausforderung zur Selbstbehauptung wichtig. Zudem lernte sie mit der Welt nordischer Maler, Eduard Munch, Solberg, Kittelsen, Carl Larsson, manches von ihrer eigenen Wesensart besser verstehen. So formte sich zusehends das Bewusstsein vom eigenen Wollen. Dies wurde durch das intensive Landschaftserlebnis in Norwegen bestärkt, in langen Sommerwochen auf der Insel Alsten und am Mjössasee. So wurde Bettina im Norden zum ersten Mal, was sie heute in Algerien ist: absolute Zeugin für unverwechselbare Landschaft. Doch raffen wir zusammen, denn die Zeit des Beginnens ist in einer ersten Monographie über Bettina von Dr. Eduard M. Fallet-von Castelberg aufgezeichnet. Er geht darin auch auf Malreisen ins Tessin, nach Griechenland, nach Ägypten und auf die längst eingesetzte Vielzahl von Ausstellungen ein (1967, Verlag Kleiner, Bern).
Weiter aber bleibt – auf Bettinas Entwicklung hin zu Algerien bezogen – von Erwin Bowien zu berichten, Begleiter des hier skizzierten Werdeganges und der Reisen. Er ist entscheidender als jeder andere Lehrer in das Werk der Malerin eingegangen. Aber lassen wir Bettina selbst über ihn sprechen: „Bewusst zu lernen, beginne ich erst seit seinem Tode. In meiner Jugend habe ich mich oft gegen ihn gewehrt. Ich wollte keine Ferne, sondern war ein Fanatiker der Nähe. Seine Diskretion, sein Takt, die Intimität seines Gefühls waren konträr zu meinem aufbrausenden Temperament. Ich verkannte zunächst die stilbildende Erfassung des Wesentlichen gerade aus der Intimität heraus. Ich wollte immer im dramatischen Sinne übersteigern. Mein aggressives, zugreifendes Naturell lässt mich selbst mitunter von meinen eigenen Bildern zu denen von Erwin Bowien flüchten. Die Kultiviertheit seines Wesens, seiner Farben, seiner Zeichnung und Malerei erscheint mir eine ständige Mahnung gegenüber dem barbarischen Anteil an meiner Kunst.“
Diese Selbsterforschung Bettinas gegenüber ihrem Lehrer fordert jedoch eine Charakterisierung der Schülerin durch Erwin Bowien heraus. Er schrieb 1965: „Das erste schon völlig Überraschende beim Auftreten von Bettinas Begabung war ein temperamentvolles, beglückendes Erfassen der Naturerscheinungen und das erbitterte Ringen mit ihnen: Die Darstellung des bewegten Meeres vor Sylt, des Matterhorns, des Tessins sind ihre erste Inbesitznahme der Erde. Sehr bald aber beschreitet sie einen Weg, der zu straffer Sonderung führt. Schon ist die naive Freude am glückhaften Darstellen überwunden; ein konstruktiver Wille beherrscht sie. Es beginnt eine klare Trennung von Lokalfarbe und Lichtfarbe. Der eigene Stil ist kräftig und bewusst, die Zielsetzung unbeirrt und überlegen. Auch ist sie nicht bereit, das menschliche Wesen mit seiner Seele dinglich zu sehen. In ihrem Werk gibt es keine listige Berechnung und keinen geistigen Diebstahl. Alles, was sie sieht, findet Widerhall in ihrem eigenen Wesen. Wie es ein Komponist vermag, eines Menschen Seele in Musik darzustellen, so findet sie für den Menschen jeweils die Farbe und die Art, die das Wesen des Gemalten auf das Seelenhafte erhöht. Die von ihr erfassten Menschen sind nie völlig aus der Welt Gottes in die Menschen entlassen …“.
Das Ausfahren in die Welt durch Studien- und Malreisen führte immer wieder zurück in das Elternhaus Heinen in Solingen, zum Vater, Hanns Heinen. Er war fast zehn Jahre lang Chefredakteur des „Solinger Tageblattes“ und wappnete sich mit Skepsis und scheinbar unüberwindlicher äußerer Ruhe, eine besonders in jenen Kriegs- und Nachkriegsjahren notwendige Voraussetzung zur geistigen Selbstbehauptung, gegen die Empfindsamkeit eines Lyrikers, die so bewegend aus den von Bettina im Buch herausgegebenen Gedichten glimmt. Die Mutter, Erna Heinen-Steinhoff, war eine Frau, die in der Erinnerung wie geheimnisvoll durchleuchtet erscheint, eine kluge Bewahrerin und eine weise Anregerin. So war denn in diesem Hause alles Gedachte, alles künstlerisch Gestaltete wichtiger als das Materielle. Die stille, äußerliche Zurückgezogenheit wurde festlich durchbrochen, wenn bei Heimkehr die Bilderrollen aufgeschnürt wurden. Dabei war das Gemalte stets Geschwister des Wortes, denn im Hause des Dichters Hanns Heinen bedeutete Kunst zu erleben, zugleich Verpflichtung zur Formulierung. Bettina sagt heute in der Rückerinnerung an jene Jahre: „Was ich in der Jugend durch das Elternhaus und meinem Lehrer erfuhr, ist das Rückgrat meines Lebens in Algerien geworden, das mir auch oft Einsamkeit auferlegt.“ Der Ausbruch aus dieser Jugend erfolgt 1960. Bekanntschaft mit Abdelhamid Ayech in Paris! Die silbergraue Stadt zwang zu neuen Farben. Der Louvre! Angst! Chimärenbilder!
Am 3. Februar 1961 wurde die Tochter Diana geboren. Doch nicht durch Abdelhamid sollte Bettina zum ersten Mal nach Nordafrika kommen. Vielmehr wurde sie 1962 vom Deutschen Kulturinstitut zu einer Ausstellung nach Kairo eingeladen und nutzte das zu einer Ägyptenreise. Das wird im Rückblick als ein schicksalhaftes Ereignis deutlich, denn ihre Welt, so formulierte es Bowien, erschien förmlich aufgesprengt. So weicht denn Bettinas Afrika-Erlebnis so sehr vom Gewohnten ab, dass Bowien von „neuen Augen und neuen Wertungen“ sprach und niederschrieb, da wolle eine junge Künstlerin „persönlich teilhaben an der Last und Würde des Menschen dort“. Er hat damit getroffen, was Bettinas Kunst in Algerien innerlich bewegt! Dabei besiegt die künstlerische Orientierung am Absoluten das rein Tagesbezogene. Genau das lässt sie, die Europäerin, auch so mühelos manche Schwierigkeiten des Lebens in Algerien überwinden, ja, sie gar zum Positiven für ihr Werk ummünzen.
Portraitfotos des Steinbruchbesitzers und Bauunternehmers Abdelhamid Ayech (1926-2010), dem Ehemann von Bettina Heinen-Ayech
Die Abreise mit Abdelhamid nach Algerien erfolgte ein Jahr später, am 03.02.1963. Zunächst war ein drei Wochen langer Familienbesuch geplant. Nun lebt die Familie fast fünf Jahrzehnte in Hamids Geburtsstadt. Das erste von Bettina in Algerien gemalte Bild zeigt einen Hinterhof, Ausblick aus der damaligen kleinen Wohnung in der Stadtmitte: Vor einer dunklen Mauer flatternde Wäsche. Das blattlose Geknorre eines Weinstrunks, ein alter Fensterladen sind in ein Paradies aus Orangengold und glasiges Grün verwandelt. In heftiges Dunkelblau weht ein Vorhang, aus dem in Scharlachrot Blüten wie Gestirne hervorbrechen … . Wie dieses erste Bild waren viele andere danach von orientalischer Staffage angeregt. Doch wuchs rasch die Fähigkeit Bettinas, das nur Äußerliche zu überwinden und zum „Urgrund“ – so nennt sie es – vorzustoßen.
Seit Ihrem Umzug nach Algerien im Jahre 1963, hat Bettina Heinen-Ayech, zusätzlich zu Ihrem üblichen Signet auch gelegentlich auch dieses Signet benutzt, welches die arabische Schreibweise des Namens Bettina darstellt.
Das steigerte sich im Laufe der Jahre besonders bei den Bildnissen bis zum Seherischen. Nichts von Sightseeing bei Bettina. Auch wird man auf historische Buchweisheiten vergeblich warten. Das kulturelle Motiv hat bei ihr selten mehr Bedeutung als die zufällige Vedute. Die Auseinandersetzung findet nicht auf der Bildoberfläche statt. Sie ereignet sich gewissermaßen hinter dem Bild. Besonders aber ist die Spanne von Gegenwart und Herkommen von den Bildnissen abzulesen. Sie hüten sich vor geschwätziger Mitteilung. Macht aber nicht gerade dieses das Wesen von Malerei aus, die hierzulande heute doch so sehr von leitartikelhafter Wortbefrachtung bedroht erscheint? Die Sprachlosigkeit der Bilder als eine Mitteilungsmöglichkeit über Sprache hinaus! Genau diese Kraft ist in der Kunst Bettinas durch die Größe einer sonnendurchfluteten Landschaft, durch Begegnungen mit Menschen in Ursprünglichkeit entzündet. Da sich dies alles letztlich deutender Erklärung entzieht, zugleich aber der Kern von Bettinas Werk erreicht ist, sei ihr selbst das Wort gegeben: „Zunächst malte ich das Land mit einer unersättlichen Begeisterung für die kühnen Formationen und den abenteuerlichen Wechsel der Jahreszeiten in wilder Romantik. Bald jedoch wich der Rausch der Erkenntnis, von welch vollendeter Gegenwart diese Landschaft doch ist.“ Den Begriff „vollendete Gegenwart“ umschreibt Bettina so: "Ein üblicher Ausblick in Europa erweckte stets den Eindruck von Übergang. Irgendwo dahinter liegt das Meer. Die Sehnsucht, so meint die Malerin, schweife in Europa zwangsläufig weiter. Ein Ausblick in Algerien aber schenkt mir den Eindruck von Endgültigkeit; und es ist mir, als müsste ich durch mein Werk die ungezählten Erscheinungsformen dieser einen Wirklichkeit erfassen.“ So gibt es an die fünfzig Ansichten des Mahounagebirges; und man wird keine Wiederholung finden. Wie in einem zyklischen Ablauf wird so eine zunehmende Inbesitznahme als Vorstoß auf den Urgrund sichtbar. Da kehrt er wieder, dieser Begriff, den Bettina selbst so auslegt: „Ich will die Natur nicht zu einem Motiv erniedrigen, sondern sie in ihrer Ganzheit erfassen. So wird sie zugleich immer mehr ein Teil meiner selbst.“ Freilich ist solche Auseinandersetzung nicht von der Realität des reinen Malvorganges zu trennen – besonders beim Malen im heißen Süden nicht. Bettina gestaltet ihre Landschaften vor und in der Natur. Sie muss dafür oft weite Touren in Einsamkeit unternehmen und sich aufs Notwendigste beschränken. Wesentlich bestimmt wird ihre Technik dadurch, dass die Farben auf dem Blatt sofort antrocknen. Damit verbieten sich die beim Aquarell gewohnten Verlaufwirkungen. Die Farben werden nahezu mosaikhaft nebeneinander gesetzt. Das ist der Grund für die außergewöhnliche Leuchtkraft von Bettinas Bildern. Zugleich aber zwingt die prismenhafte Zerlegung zu einer kompositorischen berechneten Bildarchitektur. Damit wären die wesentlichen äußeren Elemente gekennzeichnet.
Von Jugend an suchte Bettina die starke Farbe: In der subtropischen Vegetation des Tessin, in Nordnorwegen mit dem Licht der Mitternachtssonne. In Algerien fand sie jedoch außer dem leuchtenden Licht auch die starken Lokalfarben: das Rot der erzhaltigen Erde, das intensive Grün des jungen Weizens, das Gold des reifen Getreides, die Farbenpracht der Blüten, gelb und orange. Die Farbe ist immer in Wirklichkeitstreue angegangen, um die sinnbildhafte Übersteigerung zu rechtfertigen. Die Mitte von Bettinas Werk scheint um das Jahr 1965 erreicht. Es gelingen ihr Weite und Tiefe. Während der Wahrnehmungen norwegischer Bergwelten einst guckkastenhafte Panoramen gewährten, wallen nun die Formationen ins Unaufhörliche. Die Kohlezeichnung wird machtvoll. Es kehrt Rhythmus in die Bilder ein. So erfasst die Malerin (manchmal in wandgroßen Formaten Ölbaumhänge, Sonnenblumenfelder, Mohnblumengefilde, Wiesen, Palmerien, wobei sie sich äußersten Fleiß auferlegt, um das Detail vom Ganzen abzuheben und selbst bei gewagtester Fülle mancher Blumenstilleben Duft und Durchsichtigkeit zu erhalten. Zunehmend gewinnt dabei das früher so eruptive Talent die Fähigkeit, im Können auch beruhigt auszuatmen. Bettina erkennt das selbst: „Nach Jahren des Reisens, Suchens und der Verausgabung meiner Kräfte finde ich jetzt den Zustand“. So stellen sich zusehends auch eine Intimität im Sinne Bowiens oder der Reiz der Arabeske ein. Die Malerin ist auch „Artiste“ geworden, so wie es die Franzosen verstehen.
Um die Entwicklung schlagworthaft zusammenzufassen: 1965 war Bettina zum Typischen vorgestoßen. Seitdem aber beginnt sich ihre Kunst in weiterem Fortschreiten an Qualität zum Persönlichen zu verfeinern. Das gilt gleichermaßen für die Landschaft wie für das Bildnis. Bei den Landschaften weist sich die Verfeinerung zum Persönlichen hin im Zurücktreten von Bettinas früherer Gebärdenhaftigkeit nach. Es stellt sich eine noch bewusstere farbliche Erfassung ein, ja, man kann Bettinas Wort „vom Eindringen in die Seele einer Landschaft“ verstehen und fühlt, wie es gemeint ist, wenn Bettina sagt, sie empfinde die Landschaft immer mehr als ein Stück von sich selbst. Lassen wir also die Malerin wieder selbst zu Wort kommen: „Einen Zeitbegriff im europäischen Sinne kenne ich bei meinem Leben in Algerien nicht. Ich habe Zeit zu malen, Zeit zu denken, Zeit zu lesen, kurzum: Zeit zu leben. Dabei stellen sich natürlich auch Gefühle von Einsamkeit ein. Doch beginne ich darüber, das Wesen des Augenblickes zu erfassen.“ Bettina fürchtet, dass dies in Deutschland kaum noch verstanden werden könne, da alle Gegenwart instinktiv schon als Vergangenheit verstanden werde. „Doch das Wesen des Augenblickes erschließt mir die natürliche Würde gerade der einfachen Menschen hier. Ich fühle mich immer weniger betroffen von den Sorgen, die mich in Briefen erreichen: Ich müsse doch sehr allein sein hier, meine Begeisterung werde verlöschen – und: Wie ich denn auf europäisches Kulturleben verzichten könne? Ich spüre, dass solche Briefe immer mechanischer werden, das heißt, die Gedanken und Gefühle aus Mangel an Zeit und Besinnung abstumpfen und keinen wirklich wesentlichen Inhalt mehr haben. In diesen Augenblicken wird mir besonders bewusst, dass ich Algerien liebe und mich von seinen Menschen angenommen fühle.“ So erklärt sich Bettina auch das erstaunliche Verhältnis zu den Intellektuellen. Sie spüre selbst bei Künstlern kaum die in Europa unvermeidlichen Vorbehalte, Sperren und Rivalitäten.
Was da oft jäh und ungestüm, mitunter gar unbedenklich an Bilderflut auf eine über viele Länder reichende Freundesgemeinde und bis zur Stunde 85 Einzelausstellungen niedergegangen ist, merzt von Jahr zu Jahr stärker den Wiederspruch aus. Die aus den Zerklüftungen des Atlasgebirges gewonnenen Bildgebäude, die Ausblicke auf im Sand ausgegossene Städte, das Palmenwehen, das Staubstieben in den Oasendörfern, die Erstarrung ferner Beduinenforts, die steinernen Zeigfinger an den Karawanenwegen, einsame Gräber, Ausblicke aufs Meer: nichts daran ist bloßes Abbild oder gar Plakat; der hier vorgefundene Mensch sitzt nicht zu Portrait, vielmehr summiert sich Wahrheit, indem das einmal gefundene Bild zugleich wieder infrage gestellt wird. Das immer neue Malen gleicher Motive führt nicht zum Gleichklang, sondern, wie in der Fuge, zum immer anders Gleichen! Sublimierung aus dem Zuwachs an Leben und Vibration, Sublimierung als Vertiefung und nicht als Virtuosität. Kultur tut bei Bettina immer auch weh. Ihre Bilder unterstreichen es.
Hans Karl Pesch
Am 07. Juni 2020 verstarb die Künstlerin im Alter von 82 Jahren während eines Aufenthaltes bei ihrer Familie in München. Sie hatte noch kurz vor ihrem Tod ein Blumenbildnis fertig gestellt und den Wunsch geäußert, doch bald wieder zurück nach Algerien zu reisen. Sie liegt begraben im Münchner Waldfriedhof.